– Räuber, Gauner und Piraten
(Erschienen in Zillo Medieval Nr.4/2011)
Ich bin wohl ein fast hoffnungsloser Romantiker. Neben vielem anderen liebe ich Piratenfilme. Räuber Hotzenplotz war der Held meiner Kinderjahre. Der Vater von Pippi Langstrumpf, Traum meiner schlaflosen Bubennächte, Ephraim war Pirat, Schrecken der Meere und nebenbei noch Negerkönig auf Taka-Tuka-Land. Also ein Papa wie man ihn sich als Heranwachsender wünscht. Ohne zu hinterfragen und ohne mir Gedanken zu machen wurden Seeräuber und Piraten schnell zu so etwas wie Idolen. Wehe dem Umstand, der verantwortlich für das Verpassen eines Piratenfilms war.
Gerade habe ich, völlig unerwachsen, meine LEGO Piraten zusammengebaut und bin nachhaltig enttäuscht vom vierten Fluch der Karibik. Aber natürlich werde ich mir auch den fünften und sechsten Teil ansehen. Es hilft ja nichts.
Piraten sind nachweislich gut für meine romantische Seele. Vermutlich, weil sich bei ihnen alles so schön und einfach lösen lässt, durch reine Manneskraft, einen Säbel und ein gewinnendes Lächeln.
Aber dennoch, irgendetwas daran nagt an mir. Irgendetwas sagt dauernd: „Moment mal!“ Das, was ich für mich unter dem Wort Piraten abgespeichert habe und was mir der Rote Korsar oder Captain Jack so wundervoll von Hollywood serviert vorspielt, hat mit der Realität absolut nichts zu tun. Hatte es vermutlich nie. Und es hat eigentlich gar nichts mit mir und dem, wie ich mir den Umgang zwischen Menschen wünsche, zu tun.
Das Geschäft von Räubern, Gaunern und Piraten hat in der Tat nichts Romantisches, Heldenhaftes oder Abenteuerliches. Es war und ist dreckig, unspektakulär und schlicht und einfach mies. Ich möchte nachts an der Straßenecke genauso wenig überfallen und zusammengeschlagen werden, als auf einem Schiff auf hoher See. Im Zweifel würde ich wohl zu den Opfern gehören. Fern ab von jeder Romantik habe ich keine Freude daran, anderen Menschen weh zu tun oder ihnen etwas weg zu nehmen.
Auch das Frauenbild in den klassischen Piratengeschichten hat nichts damit zu tun, wie ich mir einen Umgang zwischen den Geschlechtern wünsche. Nein, ich möchte niemals eine Frau mit dem Säbel in der Hand und die von Todesangst zittert zu einem Kuss zwingen.
Warum um alles in der Welt faszinieren mich genau solche Typen bzw. deren Genre, mit denen ich eigentlich auf keiner Ebene zu tun haben möchte, oder besser: Die im Grunde in realiter nie auch nur im Ansatz eine Vorbildfunktion in meinem Leben übernommen haben.
Ich unterstelle mal, dass niemand, der mit einem Säbel und Dreispitz bewaffnet über einen mittelalterlichen Markt flaniert, sich mit den modernen Seepiraten vor der Afrikanischen Küste gemein fühlt, oder dass jemals irgendwer in Lumpen gekleidete Afrikaner auf Schlauchbooten zu reenacten, also nachzustellen, versucht.
Irgendwie absurd und seltsam. Ich frage mich gerade, was unsere germanischen Stammesvorfahren davon halten würden, wenn sie uns heute begeistert als römische Legionäre in Lagern sehen könnten. Vermutlich wären sie genauso entgeistert wie ich, wenn ich begeisterte WK2 Reenactors in SS Uniformen herumlaufen sehe. Genauso würde es den damaligen normalen Menschen gehen, wenn diese wüssten welch ein Hype heutzutage um die Verbrecher von einst gemacht wird.
Eigentlich ist es völlig egal, ob ich Desperados, Mafiosi, Bikergangs, Piraten oder Raubritter nehme. Nichts davon beschäftigt mich in echt, oder wäre je in die engere Auswahl meines Traumberufs gekommen. Ich kenne auch niemanden der mir nach einigen Gegenfragen noch zu seiner anfänglichen Begeisterung für eine solche Berufswahl steht.
Antihelden faszinieren uns. Das Böse übt eine verlockende Anziehung auf uns aus. Alle guten Geschichten handeln von Menschen in Extrem oder Ausnahmesituationen, oder von Menschen an Wendepunkten ihres Lebens.
Hollywood führt uns eine Gegenwelt vor, in der suggeriert wird, dass alle Probleme mit Gewalt, Säbel und Kanonen lösbar sind und das wirklich erlebenswerte an Beziehungen das jeweilige stürmische Kennenlernen oder dramatische Auseinandergehen ist. Ich würde sogar soweit gehen, dass ich dieser Fiktion selbst oft genug erlegen bin, zumindest was Beziehungen angeht. Ein für uns alle wirklich wünschenswertes Leben hat aber nichts was sich als Stoff für Filme oder Romane eignet. Wer will einen achtstündigen Film über ein glückliches Leben sehen, oder von Anfang bis Ende Liebe ohne Drama.
Piraten und Räuber stehen für unsere Sehnsüchte. Sie stehen für das Anderssein, für Escapismus, für das Ausbrechen und Zerbrechen von Normen. Piraten im romantischen Sinn, sind die wahrhaft Freien in einer Welt der Unterdrückung. Wenn heute dieses Sujet wieder en Vogue ist, dann wahrscheinlich deshalb weil wir uns trotz all unserer vermeintlichen Freiheiten als unfrei fühlen und empfinden. Weil wir alle unseren Unterdrückern gern mal eine Breitseite verpassen würden und die reichen Pfeffersäcke um das Geld erleichtern würden das zumindest gefühlt sowieso unser ist. Sie bilden eine stärker werdende Sehnsucht innerhalb unserer Gesellschaft ab.
So, und nun kümmere ich mich wieder um meine LEGO Piraten und lege mir zum hundertsten mal den „Roten Korsaren“ ein und lasse mein romantisches Schiff gen Berlin fahren.
Trinkt aus Piraten, Joho!
Euer Falk.
Jeder träumt davon, mal der Rote Korsar zu sein.
Nur wenn ich mir vorstelle, Burt Lancasters Strumpfhose zu tragen, dann wird das bei meiner Figur schnell zu Alptraum.
Sonntags 20.15 Uhr in deutschen Wohnzimmern. Bis zu 14 Millionen Menschen sitzen Woche fur Woche um eines der letzten medialen Lagerfeuer und schauen Fernsehkommissaren bei der Arbeit zu. Thiel und Boerne jagen Morder in Munster, Berg und Tobler ermitteln im Schwarzwald, Dorn und Lessing zerren in Weimar Bosewichte ins grelle Licht der Verhorzimmer, Eisner und Fellner verfolgen in Wien Verbrecher. Dass die Kommissarinnen und Kommissare mittlerweile selbst Macken haben, gehort zum TV-Geschaft – geschenkt. Weit wichtiger fur Krimijunkies ist die Gewissheit, dabei zu sein: Manchmal schon beim Mord, auf jeden Fall bei den Ermittlungen, Verhoren und schlie?lich naturlich bei der Verhaftung des Bosen. Das Gute siegt immer!